Von Unterstützer*innen

„Es ist sehr wichtig, auf das eigene Befinden und die eigenen Kapazitäten zu achten.“
Erfahrungsbericht aus einem Hausprojekt

Erfahrungen mit Soli-Zimmern
Ich lebe in einem Hausprojekt, welches seit über zehn Jahren Erfahrungen mit Soli-Zimmern für Illegalisierte sammeln konnte, und diese möchte ich gerne teilen.

Sicherheit
Der Vorteil von größeren Hausprojekten oder WGs ist, dass es für Nachbar*innen und andere außenstehende Personen nicht so übersichtlich ist, wer hier wohnt und wer oft zu Gast ist. Dies ist von Vorteil, wenn Personen keine Papiere haben.
Generell sollten alle achtsam und vorsichtig sein, wenn über Soli-Zimmer oder Personen gesprochen wird, da es immer ein Risiko für Personen ohne Papiere darstellt, dass Personen von dem Aufenthaltsstatus erfahren, die diese Informationen an Ordnungsbehörden, wie die Polizei, weitergeben könnten.
Es kann immer mal passieren, dass die Polizei oder andere unerwünschte Besucher*innen vor der Tür stehen und nach einer Person suchen. Wir haben für diesen Fall eine Handlungsübersicht (Leseempfehlung: Was tun wenn‘s brennt? 6) und die Telefonnummern von Anwält*innen von innen an unsere Wohnungstüren geklebt. Wenn der Besuch der Polizei, Behörde etc. angekündigt wird, ist es am sichersten, wenn Personen ohne Papiere nicht im Haus oder der Wohnung sind.

Organisation
Im Hinblick auf die Organisation bzw. die Bereitstellung eines Zimmers haben wir die besten Erfahrungen gemacht, wenn wir eine Gruppe von mindestens vier Personen waren. Als Gruppe ist es wesentlich einfacher, dass immer eine Ansprechperson zur Verfügung steht und Aufgaben, wie Übersetzen, Begleitung zu Ämtern, Sauber machen, können untereinander aufgeteilt werden.
Wir haben verschiedene Formen von Soli-Zimmern ausprobiert (siehe unten) und mussten feststellen, dass es manchmal sehr hart werden kann und dass es sehr wichtig ist, auf das eigene Befinden zu achten und die eigenen Kapazitäten im Auge zu haben. Daher treffen wir uns regelmäßig in unserer Soli-Zimmer-Gruppe und fragen immer wieder nach, wie es unseren anderen Mitbewohner*innen gerade geht in Bezug auf das Soli-Zimmer. Viele Wechsel können sehr anstrengend sein, aber auch das Begleiten eines längeren Prozesses. Daher war es zwischendurch manchmal nötig, mit dem Breitstellen eines Soli-Zimmer zu pausieren.

Von Anfang an sollte der Person klar kommuniziert werden, für wie lange das Zimmer zur Verfügung steht. Unklarheiten und Verlängerungen führen zu Unsicherheiten oder dazu, dass eine Person länger bleibt als gedacht, was besonders dann ein Problem werden kann, wenn bereits eine neue Person dasZimmer nutzen will.
Meist erfahren die Personen über private Kontakte von der Möglichkeit des Soli-Zimmers. Darüber hinaus wurden – besonders im Winter – Personen von der Straße mitgenommen oder der Kontakt kam über andere Gruppen zustande, die Soli-Zimmer vermitteln.
Wichtige Informationen für das Zusammenleben, wie die Nutzung von Bad und Küche, Schlüssel, den Umgang miteinander, Ansprechpersonen, Internetnutzung etc., werden der Person, die das Zimmer bezieht, am ersten Tag mitgeteilt. Wir haben die wichtigsten Informationen auf einem Zettel festgehalten, damit sie jederzeit nachgelesen werden können. Der Infozettel ist in alle uns möglichen Sprachen übersetzt und wird immer mal wieder überarbeitet und erweitert. Nicht vergessen: Nicht alle Personen können lesen.
Bei der Unterbringung von Familien sind noch einmal gesondert Dinge zu beachten:
Ist das Zimmer für mehr als eine Person geeignet? Wie alt sind die Kinder? Hochbetten sind dann manchmal ungünstig. Die Gemeinschaftsräume sollten rauchfrei sein. Ebenso gilt es, andere potenzielle Gefahrenquellen für Kinder zu beseitigen und ggf. Spielzeug bereitzustellen.

Prozessbegleitung
Die Begleitung eines Prozesses, z.B. bis zu einem sicheren Aufenthaltsstatus, kann sich sehr lange hinziehen (auch mehrere Jahre). Hierfür ist es wichtig, die eigenen Kapazitäten zu kennen und sich gegebenenfalls eine separate Unterstützer*innengruppe von außen heranzuholen.
Wenn die Situation sehr belastend ist und einzelne Personen oder die Gruppe sehr mitnimmt, dann reden wir darüber und holen uns teilweise auch Unterstützung von außen.
Zur Prozessbegleitung können folgende Aufgaben gehören:

  • Anwält*innen suchen
  • Suche nach Möglichkeiten für einen sicheren Aufenthaltsstatus
  • Begleitung und Übersetzung bei Beratungsgesprächen, Ämtergängen, Arztbesuchen
  • Planen, Organisieren und Umsetzen der einzelnen Schritte
  • benötigte Papiere beantragen (z.T. aus dem Herkunftsland), wie Schulabschlüsse, Geburtsurkunde, Ledigkeitsbestätigung, Vaterschaftsanerkennung, etc.
  • Unterlagen übersetzen und beglaubigen lassen
  • Sprachschule, Ausbildungsplatz, Job, Wohnung suchen
  • Hilfe beim Bewerbungen schreiben
  • Hilfe beim Sprache lernen
  • Hilfe beim Anträge ausfüllen und Briefe übersetzen
  • Hochzeit organisieren
  • Benötigtes Geld organisieren, z.B. für Anwälte, Beglaubigungen, Übersetzungen, Bearbeitungsgebühren, etc.

Reinigung
Die Reinigung des Zimmers ist vor allem bei häufigen Wechseln sehr wichtig und sollte gut organisiert sein, sonst besteht die Gefahr, dass sich Bewohner*innen des Zimmers und/oder Unterstützer*innen mit Parasiten (Läuse, Krätze, Bettwanzen,…) anstecken – sehr unschön und im schlimmsten Fall sehr langwierig, sie wieder los zu werden. Die Idee, dass die Personen selbst das Zimmer reinigen, bevor sie gehen, haben wir schnell wieder aufgegeben, da es dann nicht immer gründlich war.

Formen von Soli-Zimmern
Die Länge des Zusammenwohnens wirkt sich auf viele verschiedene Dinge aus. Bleiben Personen nur für eine oder wenige Nächte („Notübernachtung“), hat das den Vorteil, dass viele Personen von einem Bett, einer Dusche usw. profitieren. Gleichzeitig ergibt sich dadurch viel Arbeit. Regeln und Absprachen müssen immer neu kommuniziert werden, Betten müssen häufig neu bezogen werden. Gleichzeitig bleiben die Kontakte zu den Personen nur recht oberflächlich, was sich über einen längeren Zeitraum als sehr anstrengend und unbefriedigend darstellte. Es ist hart zu wissen, dass die Person, nach dem kurzen Bewohnen des Zimmers, wahrscheinlich wieder auf die Straße muss. Im Winter kann diese Form der Unterstützung sehr hilfreich sein, langfristig ist es für uns als Wohngemeinschaft keine gute Option.

Eine weitere Option ist es, für ein bis zwei Wochen in dem Zimmer zu bleiben. Es ermöglicht den Betroffenen kurzzeitig nicht auf der Straße übernachten zu müssen oder aus großen Unterkünften herauszukommen, um sich von den Anstrengungen, die diese mit sich bringen, zu erholen und für einen Moment etwas Privatsphäre zu haben. Bestenfalls reicht die Zeit, um die nächste, längerfristige Unterkunft zu suchen. Auch hier gestalteten sich die Kontakte als eher oberflächlich.

Steht den Betroffenen das Zimmer für etwa einen Monat zur Verfügung, bleiben die Wechsel und damit verbundenen Aufräum- und Reinigungsarbeiten deutlich überschaubarer. Neben der Möglichkeit kurz zur Ruhe zu kommen, verschafft es Zeit sich zu Orientieren und eine längerfristige Perspektive zu organisieren. Auch die Kontakte zwischen illegalisierten und unterstützenden Personen können hier intensiviert werden, was jedoch auch wieder Schwierigkeiten mit sich bringen kann, wenn die Zeit des Zusammenwohnens vorüber ist. Im Vergleich zu den ersten beiden Möglichkeiten erschien uns die Option als Gruppe auch über einen längeren Zeitraum als gut machbar.

Schließlich gab es Menschen, die länger als einen Monat, bis zu einem halben oder ganzen Jahr in unserem Haus gelebt haben. Durch den intensiveren Kontakt hat es sich häufiger ergeben, dass wir als Gruppe oder Einzelpersonen begonnen haben, den Prozess zu begleiten (siehe Prozessbegleitung). Meist dauern die Prozesse jedoch länger als ein halbes Jahr, so dass die Zusammenarbeit sich auch nach dem gemeinsamen Wohnen fortsetzte und die Arbeit zur Überforderung führte. Um dieser entgegenzuwirken, ist es wichtig, sich rechtzeitig Unterstützung von außen zu suchen (Personen, die am Zusammenwohnen nicht beteiligt sind).
Dafür zeigen sich hier aber auch Erfolgserlebnisse und ein positiver Ausgang des Prozesses wird meist erst bei längerer Begleitung erkennbar, was ein wunderbares Gefühl gibt. Eine längere Verweildauer im Soli-Zimmer ermöglicht es der betroffenen Person zudem, nicht nur kurz durchzuatmen und sich bspw. für eine oder mehrere Nächte auszuschlafen und auszuruhen, sondern verschafft Zeit, um eine anschließende Unterkunft zu finden, einen Job zu organisieren und Papierkram zu regeln.

Um die Unterstützung der illegalisierten Person zu erleichtern, ist es wichtig Kontakt zu verschiedenen Institutionen zu haben, Netzwerke aufzubauen und Infomaterial bereitzustellen. Dazu gehören vor allem Adressen und Telefonnummern von:

  • Beratungsstellen
  • Guten Anwält*innen
  • Schlafplatzorgagruppen
  • Medizinischer Versorgung (Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, die auch ohne Krankenversicherung behandeln)
  • Psychologische Begleitung, Krisendienste
  • Übersetzer*innen-Gruppen (die eventuell auch zu Ämtern oder Ärzt*innen begleiten)
  • Jobvermittlung für Personen ohne entsprechende Papiere
  • Treffpunkte zum Austauschen und Kennenlernen

Probleme
Über den langen Zeitraum gesehen hatten wir bisher überwiegend gute Erfahrungen und Begegnungen. Dennoch tauchten immer mal wieder unschöne oder unerwartete Situationen auf, die uns herausgefordert haben, uns teilweise überfordert haben und aus denen wir sehr viel lernen konnten. Wenn wir eine schlechte Erfahrung (z.B. übergriffiges Verhalten, Diebstahl) mit einer Person erleben, die uns von einer anderen Gruppe vermittelt wurde, dann melden wir dies der Gruppe zurück.

Ein Problem, welches wir öfter hatten, war, dass die Personen einfach nicht gehen wollten, wenn die Zeit um war. Erfahrungsgemäß hilft es sehr, wenn die Ansagen rechtzeitig, sehr klar und von allen gleich sind. Sehr gut ist es auch, wenn es eine Adresse gibt, an die sich die Personen wenden können, um eine andere Unterkunft zu finden.

Bei übergriffigem Verhalten helfen nur klare Ansagen und ggf. ein sofortiger Rauswurf. Auf keinen Fall sollte darüber geschwiegen werden, denn das macht die Situation für die betroffene Person unerträglich. Nichts ist schlimmer, als sich zu Hause nicht sicher zu fühlen. Wir haben das Thema „No means No!“ zum generellen Plenumstop gemacht und setzen uns regelmäßig mit unseren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und unseren erlernten Verhaltensmustern auseinander. Dies ist sehr hilfreich, um die eigenen Grenzen wahrzunehmen, sie anderen Personen deutlich zu machen sowie auch eigenes grenzüberschreitendes Verhalten zu erkennen und zu verändern.

Diebstähle im Zusammenhang mit dem Soli-Zimmer tauchten bei uns bisher nur wenige Male auf. Meist wurde dies erst erkannt, wenn die betreffende Person schon weg war. Wenn die Person noch da ist, wird sie bei uns darauf angesprochen und muss gehen.
Es kam bei uns bisher nur zwei Mal vor, dass die Polizei nach einer Person gesucht hat und es ist zum Glück immer gut ausgegangen, weil die Person nicht auffindbar war. Es ist immer gut, wenn alle Bescheid wissen, was sie in diesem Fall sagen sollen und was nicht. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte die Person unauffällig gewarnt werden, damit sie nicht genau in diesem Moment nach Hause kommt.

Da die meisten Personen, die ein Soli-Zimmer in Anspruch nehmen, viel Scheiße erlebt haben, ist es bei uns passiert, dass eine Person einen psychischen Zusammenbruch hatte. Wir sind eine recht große Gruppe mit einigen Personen, die viele Erfahrungen in diesem Bereich haben, und konnten kleinere Zusammenbrüche auffangen. Dies geht allerdings nicht über einen längeren Zeitraum und auch nicht in gravierenden Situationen. Daher holen wir uns dann Hilfe von außen und haben die Telefonnummern von Krisendiensten und psychologischen Anlaufstellen bereit.

Der traurigste und härteste Fall, den wir bisher erlebt haben, war der plötzliche Kindstod eines Säuglings. In solchen Situationen kommt auf jeden Fall die Kripo ins Haus, um andere Todesursachen auszuschließen. Wir waren alle davon sehr mitgenommen und haben für die Familie sofortige Unterstützung von außen organisiert. Für uns selbst gab es viele Gespräche, die teilweise auch extern begleitet wurden. Die Familie haben wir bei den Vorbereitungen für die Beerdigung unterstützt und sie teilweise zu Gesprächsterminen begleitet.

Aktueller Stand
Derzeit haben wir mehrere Soli-Zimmer. Eines davon ist ein Langzeitzimmer, welches wir über unsere Mietzahlungen finanzieren. Ein weiteres Soli-Zimmer vergeben wir immer für einen Monat an eine Person oder kleine Familie. Dieses wird über die Einnahmen von Partys und Spenden finanziert. Wir arbeiten mit einer anderen Gruppe zusammen, die Soli-Zimmer vermittelt. Für Notfälle haben wir in unsere Flure Hochbetten gebaut, die wir für maximal drei Nächte an eine Person vergeben.


„Ein Mitbewohner wie alle anderen auch – nur eben in einer schwierigeren Lebenssituation“
Erfahrungsbericht einer Mitbewohnerin

Das Zusammenleben mit Bakr war ziemlich entspannt, er ist ja einfach ein Mensch wie alle anderen Mitbewohner auch – nur eben in einer schwierigeren Lebenssituation, aber im Alltag haben wir ganz normal zusammengewohnt. Wir hatten sehr verschiedene Tagesrhythmen. Bakr konnte ja nicht viel machen, er hat einen Deutschkurs besucht, Zeitungen ausgetragen, war in der Moschee, hat oft Freunde getroffen oder eingeladen.
Wenn ich um 12 oder 13 Uhr von der Arbeit oder Uni kam, hatte Bakr oft gerade seinen Frühstücks-Reis gekocht. Wir haben öfter alle zusammen gegessen – viel Essen teilen konnten wir leider nicht, weil Bakr gerne Fleisch und nicht so gerne Gemüse aß, aber es gab immer Reis im Angebot. Wir haben uns gerne unterhalten, oft über Religion und sein Heimatland, Bakr war immer freundlich, offen und interessiert.
Am Anfang hatte ich Angst um Bakr, wenn er in der Stadt unterwegs war, dass er erwischt und abgeschoben werden könnte. Er hat sich aber immer selbstverständlich in der Stadt bewegt, man gewöhnt sich wohl irgendwie an das Risiko. Es hat mich schon schockiert, mir bewusst zu werden, für wie viele Menschen hier in unserer Stadt das Leben in der Illegalität bittere Realität ist.
Stark in Erinnerung geblieben, ist mir der Tag, als Bakr erfahren hat, dass sein Bruder gestorben ist, ertrunken auf der Fahrt übers Mittelmeer. Wir haben mit der WG eine kleine Gedenkfeier gehalten, gemeinsam mit Bakr seines Bruders gedacht und gebetet. Die Schicksale von fliehenden Menschen rücken plötzlich viel näher, wenn man mit konkret Betroffenen an einem Tisch sitzt.
Zwei- oder dreimal hat mich Bakr aus dem Blauen heraus gefragt, ob ich ihn heiraten möchte. Ich war mir nicht so sicher, wie ernst das gemeint war, und er hat mich in keiner Weise bedrängt – wohlgefühlt habe ich mich damit aber nicht. Naja, auf der einen Seite zeigt das wohl, in was für einer prekären Situation er als Illegalisierter lebt, wie er nach Möglichkeiten sucht und wie sich das auch auf freundschaftliche Beziehungen auswirken kann. Es hat aber schon dazu geführt, dass ich lange Gespräche zu zweit in der Küche dann eher vermieden habe.
Nachdem ich ihm dann deutlicher gesagt hatte, dass ich das nicht will, und auch ein Freund nochmal mit ihm geredet hat, hat er es aber auch verstanden und kam nicht wieder darauf zurück.
Inzwischen wohnen wir beide in anderen WGs, aber wir laufen uns noch ab und an über den Weg, freuen uns, uns zu sehen und plaudern ein bisschen.


„Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es sich anfühlt, in einer absolut unsicheren Situation auf fremde Menschen angewiesen zu sein.“
Erfahrungsbericht einer Unterstützerin

Ich bin seit ein paar Jahren in einer Gruppe organisiert, die versucht, Menschen ohne Papiere ein Solizimmer zur Verfügung zu stellen, damit diese sich ihrer Abschiebung (bisher nur Dublin- Abschiebungen) entziehen können. Wir haben bisher fünf Menschen unterstützt, manchmal für die kompletten anderthalb Jahre der Dublin-Frist, manchmal aber nur für einige Zeit.
Wenn ich darüber nachdenke, wie ich die Zeit bisher erlebt habe, merke ich, dass sie häufig von Überforderung geprägt war. Diese Überforderung tritt auf verschiedensten Ebenen auf. Die erste Überforderung entstand häufig in der Gruppe, wenn es Anfragen für ein Solizimmer gab, aber keine Zimmer gefunden werden konnten, weder über offizielle WG-Gesucht-Anzeigen noch über Freunde anbetteln oder andere Versuche.
Das hieß des Öfteren, Menschen aus der Gruppe haben ihre eigenen Zimmer geräumt, um ein Zimmer bereit zu stellen, sodass Personen erstmal unterkommen konnten. Dies empfand ich in der konkreten Situation, immer als angemessen, aber ich kann nicht abstreiten, dass es mich auch sehr angestrengt hat. Und meist war dies nur eine vorübergehende Situation, bis etwas Langfristiges gefunden wurde.
Auch wenn wir es bisher immer geschafft haben, ein langfristiges Zimmer zu organisieren, war es oft anstrengend und zwar für alle Beteiligten. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es sich anfühlt, in einer absolut unsicheren Situation auf fremde Menschen angewiesen zu sein, die mich immer wieder in verschiedene Zimmer schicken.
Neben der Zimmerproblematik gab es häufig Miss
verständnisse aufgrund von Verhalten, welches von mir oder von anderen Beteiligten als übergriffig empfunden wurde und es sicherlich auch an manchen Stellen war. Wobei ich mir oft die Frage stellte, ob diese eigenartig wirkenden Heiratsanträge z. B. wirklich ernst gemeint waren oder aus reiner Verzweiflung herrührten.
Ich wurde immer wieder darauf zurückgeworfen, in welch eigener Welt ich eigentlich lebe und welche Dinge ich dort als selbstverständlich erachte. Meine Welt muss aber vielleicht anderen Menschen, die sich nicht bewusst für diese Lebensweise entschieden haben, sondern eher aufgrund der Situation dort hineingezwängt wurden, völlig absurd erscheinen. Auf der einen Seite bin ich dafür sehr dankbar, dass ich dadurch immer wieder die Chance erhalten kann, meine eigene Lebensweise zu reflektieren. Auf der anderen Seite ist es für beide Parteien schwierig, zusammenzuleben, obwohl es sehr viele teilweise auch unüberwindbare Unterschiedlichkeiten gibt.
Es hat sich immer wieder die Frage gestellt, welche „Regeln” wir als gegeben setzen, damit wir uns noch wohl fühlen können, aber auch was wir der Person, die damit nichts zu tun hat, abverlangen können, nur weil sie gerade bei uns leben muss.
Doch all diese Missverständnisse/Unterschiedlichkeiten und Probleme lassen sich nur in Teilen besprechbar machen. Grund hierfür ist eine ungleichwertige Beziehung zu einander. Im Kontakt mit den betroffenen Personen (egal ob nun als Mitbewohnerin oder als Ansprechperson aus der Gruppe) habe ich immer ein Gefühl von Abhängigkeit gespürt, welches ich nur sehr schwer aushalten konnte. Ein Gefühl, dass aufgrund der Situation ein sehr starkes Machtverhältnis (neben denen, die es aufgrund von Rassismus etc. eh schon gibt) vorhanden ist. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Person, die wir gerade unterstützen, sich in eine totale Abhängigkeit zu uns als Gruppe und damit auch zu mir begibt, aber auch begeben musste. Dadurch hatte ich immer wieder das Gefühl, mich dauerhaft in Widersprüchen, die auch nicht aufgelöst werden konnten, zu bewegen. Ich habe mich oft gefragt: Ist die Person wirklich so abhängig oder entmündigen wir sie? Wie können wir sie in der bereits entmündigten Situation bestärken? Oder können wir das überhaupt?
Wir wollen, dass die Personen Entscheidungen für ihr Leben möglichst sel
bstständig treffen, z.B. die Frage nach dem Wohnort. Doch gleichzeitig können wir das nicht zur Verfügung stellen und es kommt die Frage auf, ob wir das überhaupt zur Verfügung stellen müssen?
Ähnliches kam immer wieder beim Thema Freizeitgestaltung auf. Alle Menschen, die wir bisher unterstützt haben, waren sehr nette Menschen. Aber bisher hatte ich bei keiner Person das Gefühl eines freundschaftlichen Verhältnisses. Oft lag es auf meiner Sicht daran, dass die betroffenen Personen keine Genoss*innen waren, mit meiner Lebenswelt nichts anfangen konnten, junge Männer waren, die häufig in mir ein unwohles Gefühl ausgelöst haben, und wir einfach keine gemeinsamen Themen hatten.
Aber ich habe mich verantwortlich für die Personen gefühlt. Das hieß für mich auch, sie darin zu unterstützen, dass sie möglichst wenig Langeweile haben (was sehr schwierig ist, ohne eine sinnstiftende Aufgabe). Sprich, wir haben als Gruppe immer wieder versucht, gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen. Aber auch hier immer wieder das gleiche Gedankenspiel in meinem Kopf: Muss ich wirklich meine wenige Freizeit opfern, um mit Leuten, die mir aufgrund unserer unterschiedlichen Persönlichkeiten nicht als Freund*innen am Herzen liegen, meine Zeit zu verbringen? Kann ich das einfach lassen? Bin ich überhaupt so verantwortlich für die Personen? Wo liegt die eigene Verantwortung der Betroffenen?
All diese Fragen konnte ich für mich immer nur sehr begrenzt bis gar nicht beantworten.
Für mich war die
Erkenntnis wichtig, dass es gilt, genau diese Widersprüche auszuhalten und das mit der Gruppe zu thematisieren, um einen guten Weg zu finden, der für alle irgendwie erträglich ist.
Oft habe ich mir die Frage gestellt, ob es überhaupt Sinn ergibt, dieses Projekt weiter fortzuführen. Es scheint doch alles viel zu kompliziert und müßig. Doch bisher bin ich für mich persönlich jedes Mal wieder zu der Erkenntnis gelangt, dass es mir unabdingbar erscheint, sich weiter für Solizimmer einzusetzen. Genau diese Schwierigkeiten gilt es auszuhalten, da wir das Glück haben, in einer hochprivilegierten Situation leben zu können, in der wir uns in der Regel nicht um Leib und Leben sorgen müssen.
Dabei geht es mir nicht darum, als Retterin anderen zu helfen oder aus einer nicht-benennbaren Schuld heraus zu agieren. Es ist aus meiner Perspektive eine Notwendigkeit, die eigenen Privilegien so gut es geht, gerecht zu verteilen – auch wenn in dieser Situation absolut nichts gerecht ist. Für mich ist es unvorstellbar, die Augen vor dem Elend von Menschen zu verschließen, die durch ein rassistisches, menschenverachtendes System in eine Situation gedrängt werden, in der sie keine Rechte, keinen Ort zum Überleben und kaum eine Chance haben, dies zu verändern.
Auch wenn es in jedem Fall nur einzelne Menschen vor dem System schützt, ist für mich jeder Mensch, den das System nicht geschluckt hat, ein politischer Erfolg. Der zeigt, dass es möglich ist, dem Ganzen etwas entgegen zu stellen.


„Individuelle Erfolge zeigen uns, dass es die Mühe wert ist.“
Erfahrungsbericht einer Gruppe mit Soli-Wohnungen

Wir sind eine Gruppe von ca. 10 ehrenamtlichen Aktiven, die sich im Jahr 2012 gegründet hat. Die Initiative entstand damals in enger Zusammenarbeit mit einer Beratungsstelle für Geflüchtete und Migrant*innen. In der täglichen Arbeit der Beratungsstelle stellte sich immer wieder heraus, dass es großen Bedarf an kurzfristigen und langfristigen Soliunterkünften gibt. Dafür sollte eine Struktur geschaffen werden.

Die Idee war damals, WGs und Hausprojekte davon zu überzeugen, für eine gewisse Zeit Solizimmer zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich wurden uns schon in der Anfangszeit von solidarischen Wohnungsbesitzer*innen zwei Eigentumswohnungen mietfrei zur Verfügung gestellt.

Die Kommunikation mit WGs und Hausprojekten sowie die Vermittlung zwischen Solizimmer-Bewohner*innen und WGs bei Konflikten und in Fragen des Zusammenlebens stellten sich als sehr aufwendig und zeitintensiv heraus. Weil es in unserer Stadt spätestens seit 2015 andere Initiativen gab, die WG-Zimmer für Geflüchtete vermittelt haben, konzentrierten wir uns relativ bald ausschließlich auf die Bereitstellung von ganzen Soliwohnungen.

Mittlerweile stellen wir seit einigen Jahren vier Soliwohnungen zur Verfügung. Teilweise waren das die Eigentumswohnungen, für die wir nur die Betriebskosten aufbringen mussten. Zum großen Teil handelt es sich aber um Wohnungen, die uns inoffiziell untervermietet werden. Die inoffizielle Untermiete erfordert ein möglichst unauffälliges Auftreten der Bewohner*innen im Haus und einen relativ hohen Kommunikationsaufwand mit den offiziellen Mieter*innen, weil ein Auffliegen dieses Untermietverhältnisses zur fristlosen Kündigung des Mietvertrags führen kann. So haben wir z.B. in allen Wohnungen sogenannte Legenden etabliert – eine Geschichte, die wir, die Bewohner*innen und die offiziellen Mieter*innen, vortragen, wenn Leute im Haus misstrauisch nachfragen.

Die Mieten finanzieren wir ausschließlich über Spenden. Dabei haben wir von Anfang an versucht einen Pool an Dauerspender*innen aufzubauen, die uns per Dauerauftrag monatlich einen Beitrag überweisen. Wir haben es in den meisten Phasen geschafft, dass so ungefähr die Hälfte unserer Ausgaben gedeckt werden konnte. Mit steigenden Mieten und weiteren Wohnungen musste der Spender*innen-Pool natürlich ausgebaut werden. Die andere Hälfte der Ausgaben finanzieren wir über verschiedene Soliaktionen. So haben wir einige Solipartys veranstaltet und viele Kochaktionen gemacht, bei denen wir auf Festivals, auf Straßenfesten und in Kneipen veganes Essen gekocht haben. Diese Soliaktionen nehmen den größten Teil unserer Zeit in Anspruch. In den sieben Jahren, in denen wir immer mehr Geld verdienen mussten, haben wir einige Erfahrungen gemacht und stellen immer wieder fest, wie anstrengend es ist kontinuierlich eine große Menge Geld einzusammeln. Zum Glück gibt es hin und wieder größere Beträge, die uns von Einzelpersonen oder von externen Gruppen wie z.B. von solidarischen Party-Kollektiven gespendet werden.

Ein weiterer großer Teil unserer Arbeit ist die individuelle Unterstützung der Bewohner*innen unserer Wohnungen. Dabei gab es im Laufe der Zeit unterschiedliche Konzepte.

Besonders beschäftigte uns unsere Rolle als privilegierte, größtenteils weiße Unterstützer*innen-Gruppe gegenüber den Bewohner*innen. Dabei stellte sich die Entscheidung, welche Menschen für wie lange in einer unserer Wohnungen wohnen können, als besonders problematisch heraus.

Nachdem wir uns anfänglich für eine begrenzte Wohndauer in den Soliwohnungen entschieden hatten, um möglichst vielen Menschen die Chance zu geben, sich während des Aufenthalts in der Soliwohnung zu erholen und eine Verbesserung ihrer Situation zu bewirken, haben wir einsehen müssen, dass sich in kurzer Zeit für kaum eine*n Bewohner*in eine Verbesserung ihrer Situation ergeben hat. Außerdem war der Druck, bald wieder ausziehen zu müssen, eine hohe Belastung für die Bewohner*innen.

So entschieden wir uns nach einiger Zeit die Wohnungen solange zu vergeben, bis die Bewohner*innen sich selbst einen Wohnraum organisieren konnten. Das bedeutete in vielen Fällen, dass die Bewohner*innen über Jahre in einer unserer Soliwohnung wohnen würden. Besonders schwer fiel uns die Auswahl der Bewohner*innen. Es gab besonders im Jahr 2015 viele Anfragen von Geflüchteten und deren Unterstützer*innen. Wenn eine Wohnung frei war, mussten wir aus den vielen Anfragen auf der Warteliste eine Person auswählen.

Um handlungsfähig zu bleiben, mussten wir uns Entscheidungskriterien aufstellen, um den Entscheidungsprozess zu verkürzen. Wir haben uns auf Personen mit besonderem Schutzbedarf konzentriert: Kranke Menschen, Menschen mit Kindern und Frauen*. Weil wir als Gruppe nicht die individuelle Unterstützung der Bewohner*innen leisten konnten, haben wir uns außerdem entschieden, nur noch Menschen, die an eine Support-Struktur angebunden sind, aufzunehmen. Das Problem als überwiegend weiße Unterstützer*innen-Gruppe auswählen zu müssen, wer die Chance auf einen Platz in einer Soliwohnung bekommt, während wir weder die Personen auf der Warteliste persönlich kennen noch die Lebensumstände einer geflüchteten Person nur im Ansatz begreifen können, konnte so jedoch nicht gelöst werden.

Auch der Bedarf an Support der Bewohner*innen blieb hoch. In einigen Fällen zogen sich die Unterstützer*innen schnell zurück nach dem sie die Unterkunft organisiert hatten, sodass wir gezwungen waren, Unterstützungsarbeiten zu übernehmen, die uns oft überfordert haben.

In einigen Fällen führte die Unterstützung der Bewohner*innen durch uns zu sehr engen Bindungen, aber auch zu Abhängigkeiten. Treffen mit den Bewohner*innen in der Intimsphäre ihrer Wohnung und die Unterstützung bei existenziellen Fragen wie dem Kampf mit dem Jobcenter schufen in vielen Fällen eine besondere, oft überfordernde Verbindung: Einladungen zum Essen aber auch tägliche Anrufe mit der Frage nach Geld, auch nachdem die Menschen ausgezogen waren, gehören dazu.

In einzelnen Fällen waren wir uns auch nicht sicher, ob unser bedingungsloses und unbegrenztes Wohnangebot den Bewohner*innen, die sich in sehr schwierigen Situationen befinden, eher in Unselbstständigkeit und Abhängigkeit von unserer Gruppe führt.

Als weitere Herausforderung zeigte sich, dass es sehr schwierig für unsere Bewohner*innen war, eine eigene Wohnung zu finden, wenn sie endlich die Möglichkeiten hatten, sich selbst eine Wohnung zu finanzieren. Dadurch wurden die Soliwohnungen dann für längere Zeit von Menschen bewohnt, die eigentlich keinen Bedarf an einer Soliwohnung mehr hatten.

Um den oben beschriebenen Schwierigkeiten zu begegnen, sind wir nun dabei für die einzelnen Soliwohnungen Kooperation mit selbstorganisierten Gruppen von Geflüchteten oder Migrant*innen einzugehen. Während wir uns weiterhin um die Verwaltung und Finanzierung der Wohnung kümmern, können künftig unsere Kooperationspartner*innen ihre Aktiven oder Personen, die sie unterstützen, unterbringen. Wir erhoffen uns dadurch zum einen, das schwierige Hierarchieverhältnis aufzubrechen und die Entscheidungsmacht über die Nutzung des Wohnraums an Menschen abzugeben, die selbst Migrations- oder Fluchterfahrung haben. Zum anderen versuchen wir dadurch sicherzustellen, dass die Bewohner*innen an ein zuverlässiges Unterstützungsnetzwerk angebunden sind. Seit einigen Monaten ist die erste dieser Kooperationen gut angelaufen und wir sind dabei eine weitere Kooperation für eine neue Wohnung aufzubauen.

Trotz einigem Frust, überfordernden Situationen und der vielen Arbeit mit den Soliaktionen stellen wir in fast allen Fällen fest, dass die Bewohner*innen es tatsächlich schaffen sich während der Zeit in der Soliwohnung eine neue Perspektive zu schaffen. Diese individuellen Erfolge zeigen uns, dass es die Mühe wert ist, auch wenn wir mit unserer Arbeit kaum dazu beitragen können, das Recht auf geeigneten Wohnraum für alle auf struktureller Ebene einzufordern und hier noch viel politische Arbeit notwendig ist.