Broschüre: Solidarität muss praktisch werden. Unterstützung von illegalisierten Menschen

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Unser Ziel ist dem der aktuell laufenden Bürger*innenasyl Kampagnen ähnlich. Wir wollen die Situation von Menschen in der Illegalität sichtbar machen, so dass ihnen dadurch mehr Schutz und Solidarität zu kommen kann.
Gleichzeitig wollen wir unsere Erfahrungen und unser Wissen teilen, damit auch andere Menschen, davon profitieren können.
Wir denken, dass es bei all den Asylrechtsverschärfungen und der aktuellen politischen Lage notwendig ist, dem System etwas entgegen zu setzen. Wir sind der Überzeugung, dass alle Menschen frei entscheiden sollen, wo sie leben möchten, unabhängig von ihrem Geburtsort oder ihrer Staatszugehörigkeit. Da der Staat ausnahmslos darin versagt, Geflüchteten sichere Orte zu gewähren, sehen wir es als zivilgesellschaftliche und politische Pflicht an, solche Orte zur Verfügung zu stellen.

Info: Kein Mensch ist illegal
Für uns können Menschen nicht illegal sein. Das System bringt sie in die Illegalität, was für die Betroffenen schwerwiegende Konsequenzen hat. Daher haben wir uns entschieden, Menschen in solchen Situationen zu unterstützen. Illegalisierte Menschen sind in erster Linie Menschen, keine Zahlen und auch keine anonymen Gruppen. Sie haben sich meist auf einen gefährlichen Weg begeben in der Hoffnung, nicht in der Wüste zu verdursten, im Mittelmeer zu ertrinken, zur Prostitution gezwungen oder gar gefoltert zu werden. Egal was ihre Beweggründe waren, wir sind der Auffassung, dass niemand freiwillig Familie, Freund*innen- und Bekanntenkreis und das gewohnte Umfeld zurück lässt, um am Ende in Deutschland oder Europa in einem ausgrenzenden System zu leben, indem versucht wird, Geflüchteten eine Perspektive auf ihr Leben zu verwehren.
Gleichzeitig besinnt sich unsere hiesige Gesellschaft auf Werte wie Humanität und Gerechtigkeit. Ob mit einem christlichen Hintergrund oder nicht wird Nächstenliebe für den Großteil unserer Gesellschaft als selbstverständlich formuliert. Wünschen wir uns nicht alle den Zustand einer freien, friedvollen und gerechten Welt? Also warum können diese Werte nicht für alle Menschen in allen Situationen gelten? Und damit auch für Menschen, die illegalisiert werden.

Als wir angefangen haben, Illegalisierte zu unterstützen, haben wir das nicht explizit geplant. Es ist eher einfach passiert. Ein Bekannter von uns brauchte Unterstützung. Er ist seiner Abschiebung entwichen und dann plötzlich in den Status der Illegalität gerutscht. Und da standen wir, ohne so richtig zu wissen, was jetzt passieren würde, wie es weiter gehen kann und was wir machen können.
Klar war, der junge Mann braucht ein Zimmer und muss irgendwie versorgt werden. Das war der Anfang. Schnell haben wir gelernt, dass es schwierig ist, mit wenigen Leuten eine langfristige Lösung zu organisieren.
Oft haben wir uns Sorgen um die Sicherheit der Menschen ohne Papiere, aber auch unsere eigene Sicherheit gemacht. Wir haben gelernt, dass die Unterstützung einfacher zu bewältigen ist, wenn Verantwortung und Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden können und wir uns gemeinsam beraten können, welches Risiko wir eingehen können und welches aber auch nicht.
Mittlerweile besteht unsere Gruppe seit mehreren Jahren und wir haben bereits einige Menschen begleitet. In den meisten Fällen waren das Personen, die aufgrund eines Dublin-Verfahrens in die Illegalität geraten sind.

Dabei sorgen wir als Gruppe für Wohnraum und Versorgung. Wir sammeln Spenden, um WG-Zimmer und Lebensmittel sowie ein kleines Taschengeld zu bezahlen. Gleichzeitig versuchen wir für die illegalisierten Menschen, eine Beschäftigung zu finden. Dies ist meistens ein Sprachkurs oder eine andere Schule sowie kleine Beschäftigungen oder Arbeit. Allerdings sind unsere Möglichkeiten diesbezüglich auch sehr begrenzt.
In der Regel treffen wir eher zufällig auf Leute, die Unterstützung in ihrer aktuellen Situation brauchen. Manchmal melden sich ehemalig Illegalisierte bei uns oder in Beratungsstellen, mit denen wir gut vernetzt sind.
In unserer Gruppe herrscht dabei der Konsens, dass wir unsere Unterstützung nicht an die Bleiberechtsperspektive binden. Auch wenn es z.B. nach den 18 Monaten während der Dublin Frist kaum eine gute Bleibeperspektive gibt, ist das für unsere Entscheidung, Unterstützung anzubieten, erst mal irrelevant. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch bei Menschen, bei denen die Situation aussichtslos erschien und alle öffentlichen Stellen, den Personen geraten haben in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, Zeit und Unterstützung die Situation verändern konnten und es nach den 18 Monaten doch Möglichkeiten geben kann.
Uns ist es wichtig zu betonen, dass uns die verdeckte Unterstützung von illegalisierten Menschen allein nicht weit genug geht. Wenn die Praxis nicht an öffentliche politische Forderungen geknüpft ist, wirkt sie ausschließlich systemstabilisierend, da staatliche Aufgaben von ehrenamtlichen Einzelpersonen und Gruppen übernommen werden. Mit dieser Broschüre möchten wir raus aus der verdeckten Unterstützung, einen öffentlichen Diskurs anstoßen und das Ende der Illegalisierung von Menschen fordern.

Seit wir uns mit dem Thema beschäftigen, stoßen wir uns an der Begrifflichkeit “illegal”. Wie kann ein Mensch illegal sein? Das Phänomen illegaler Migration gibt es erst, seitdem Nationalstaaten Gesetze geschaffen haben, um Migration zu regulieren. Für einen Großteil der Menschen, die nicht aus dem globalen Norden stammen, gibt es in jüngerer Zeit keine legale Möglichkeit in andere Länder zu migrieren. Ungeachtet dessen geschieht Migration seit Beginn der Menschheitsgeschichte und unterwirft sich nicht den Regelungen von Staaten. Wir haben nach anderen Begrifflichkeiten gesucht und uns schließlich entschieden den Begriff “Illegalisierung” beizubehalten, da alle anderen Begriffe die dramatische Lage, in der sich Illegalisierte befinden, nicht fassen können. 
Der Begriff “Illegalisierung” markiert, dass diese Illegalität konstruiert und durch Gesetze festgeschrieben wird, wodurch Menschen erst zu „Illegalen“ gemacht und damit kriminalisiert werden. Dadurch kann in der deutschen Öffentlichkeit das Bild erzeugt werden, dass ungesteuerte Migration etwas Kriminelles sei, wovor es sich zu schützen gelte. Die Rede von “illegaler Migration” dient dazu, noch mehr restriktive Gesetze und Regelungen zu schaffen und diese in der Öffentlichkeit zu legitimieren. 
Daher haben wir uns bewusst entschieden, in dieser Broschüre nicht von „Illegalen“, sondern von „Illegalisierten“ zu sprechen. Aus unserer Perspektive können Menschen nicht illegal sein, sie können nur illegale Handlungen vollziehen, zu denen Migration und Flucht sicherlich nicht zählen.

Wir verstehen diesen Blog und die Bröschüre als Anstoß für eine Diskussion. Wir wünschen uns einen Austausch darüber, wie praktische Solidarität mit illegalisierten Menschen organisiert werden kann.
Wir sind unter solidaritaet-organisieren [ät] riseup.net erreichbar für Fragen, Kritik und Anregungen.